Mittwoch, 12. November 2014

AuswärtsEssen - Osteria Francescana

Es war das erste Mal.
Und es kam ganz ungeplant.
Es ist einfach so passiert.
Und es war einfach eine unglaubliche Erfahrung.

Grade nochmals gelesen, diese ersten Zeilen. Das klingt ja gewaltig deflorativ. Ähm. Ist aber gar nicht so ganz falsch. Es geht aber nicht um Lendengymnastik sondern um Kulinarik. Allerdings spricht Frank Rosin in jeder seiner Sendungen ja ständig von Gaumensex ... und "Essen ist der Sex des Alters" heißt es ja ... und ja ... es folgt auch eine kleine Ode auf organoleptische Orgasmik. Oder anders: Es war beyond lecker! Es war mein erstes Mal in einem 3Sterne-Restaurant.

Ich hatte vorher schon einiges von der OSTERIA FRANCESCANA in Modena gelesen und gehört und wusste auch, dass der Michelin den Laden besternt hat. Nach dem Menü las ich dann nochmals genauer nach und stellte fest: 3 Sterne und auf der San Pellegrino Liste der besten 50 Restaurants der Welt seit 2 Jahren auf Platz 3.

Die Reservierung erfolgte spontan und per E-Mail - und ging ein paar mal hin und her - und allein das war schon sehr ungewöhnlich, da der Ton der Reservierungs-E-Mails sehr freundlich und entgegenkommend war. Glück gehabt, dass das kurzfristig klappte mit einem Platz in dem kleinen 12Tische-Laden.

Das Menü - wir nehmen das 11gängige Überraschungs-Menü, dass ganz unbescheiden Sensations heißt, ist eine Erfahrung. Es ist mehr als Essen. Eben ein ganzheitliches, sinnliches Erlebnis. Der stilvolle Raum und der perfekte Service ergänzen das. Dem Maitre merkt man an, wie cool er das findet, was sein Chef Massimo Bottura auf die Teller zaubert und welche hintersinnigen Ideen und welch unterschwelliger Witz die einzelnen Gerichte dabei beflügeln.

Alle Gerichte sind mehr als Nahrunsgaufnahme, und darauf muss man sich einlassen - es sind Zitate aus der kulinarischen Klassik, es sind Interpretationen von Ideen, Bildern oder rhetorischen Figuren. Und es ist krass, denn der Meister aus der Küche lässt brutal und rücksichtslos Aromen ineinander rasen, dass es scheppert - und es scheppert laut! Das irritiert manchmal - schmeckt aber immer absolut unglaublich, originell und neu.

In so einen Laden sollte man nicht gehen, wenn man im feat the beast-Modus ist und schnell viel Futter will ... das wäre nicht die richtige Grundeinstellung :-). Hier geht es um Gaumentheater für experimentierfreudige und trainierte Papillen. Hereinspaziert!

Der Gruß aus der Küche: 1) TomatenMacerons mit Mozzarella Füllung und SardellenCreme -- 2) ein LimoncelloShot in zwei Temperaturen und Texturen (der Schaum war warm) - der Rand war bestäubt mit leicht knusprigem ZitronenSalz -- 3) Eine Variante von Fisch & Chips: Sehr knuspriger Sardellen Cracker und SardellenEis. Die Papillen sind putzmunter und applaudieren.
Erster Gang: Eine ironische Brechung - "Die Auster im Wald" - Eine frittierte Auster auf AusternCreme, aromatisiert mitTanne und Waldkräutern. Die Papillen kommen in Stimmung, sind von ihren Stühlen aufgestanden und stehen nun ganz vorne an der Bühne.
Zweiter Gang: "ButterBrot mit Sardellen" - Knusprige Brotscheibe auf einer sehr aromatischen ButterSoße. SardellenMousse. Salzig. Sahnig. Cremig. Boah! Die Papillen sind voll bei der Sache und gespannt, wie es weiter geht.
Dritter Gang: "East meets West" - bezogen auf  die Kohlenhydrate: Reis trifft Linsen. Dim Sum mit eine Langustenfüllung auf LinsenCreme mit frittierten Linsen und ReisCrackern.  Die Papillen sind euphorisiert. 
Vierter Gang: Branzino (Wolfsbarsch) in einer tomatigen Kruste auf einer italienischen Bouillabaisse-Variante. Der Fisch: Butterzart, perfekt glasig, JA! Der Spiegel: Eine Aromentiefe vom Ausmaß des Mariannengrabens. Die Papillen toben rum und feiern! 
Fünfter Gang: Caesar Salad. Frech. Das ist ein kleiner SalatKopf. Was soll denn das? Zwischen den Blättern verstecken sich die ganzen Zutaten. 22 Zutaten. Darunter: knuspriger Speck, Ei, Huhn und Anchovis. Allein der Salat schmeckt schon dermaßen salatig. Und alles zusammen ergibt dann tatsächlich einen Caesar Salad. Allein bei dem Gang hätte es ein bisserl mehr verstecktes Dressing sein dürfen. Die Papille werden etwas ruhiger.
Sechster Gang: Umgebaute Lasagne. Exzentrisch. Der Chef hat hier einen enorm wohlschmeckenden und knusprigen Mutanten aus Lasagneblättern und Krupuk geschaffen, in den angedeuteten italienischen Nationalfarben, und den als Haube auf ein Ragout nach Bologneser Art gesetzt. Das Ragout ist in Milch gekocht und tomatenfrei - und eine wahre Pracht. Dazu eine leichte Bechamal, mit zartem Parmesanhauch. Die Papillen sind wieder aus dem Häuschen und wollen die Bühne stürmen.
Siebter Gang: Es ist Trüffelzeit und da darf es nicht fehlen. Das weiße Gold aus Alba. Hier paart er sich mit Fois Gras in einer Steinpilzreduktion. Ein Dreier der offensichtlich allen Beteiligten großen Spaß macht. Die Papillen fangen an sich die Klamotten vom Leib zu reißen. 
Achter Gang. Ein Waldspaziergang. Tierspuren im Schnee. Hirsch in der Mitte. In den Tierspuren meine ich schön saure Yuzu* zu schmecken. In der Soße kämpfen Waldbeeren und Gewürze einen Kampf um die Vorherrschaft. Der Kampf tobt wild und blutig und am Ende einigen sie sich erschöpft auf ein Unentschieden und harmonisch rauchen sie mit dem Hirsch einen Friedensdübel. Die Papillen sind komplett außer Rand und Band - es spielen sich unbeschreibliche Szenen ab.
Neunter Gang: Risotto. Verdammt ... wenn man sich keine Notizen macht ... Was war denn das besondere an diesem Risotto. Ich kann mich nicht erinnern ... ärgerlich. Die Papillen sind ratlos und schauen mich mit großen Augen an.
Zehnter Gang: beeriges Sorbet (Cassis und Kirschen) und leicht krautig säuerlicher Schaum. Mit Basilikum und Sauerampfer? Glaube schon. Als Basis eine klare süße Soße. Wieder die italienische Flagge. Die säuerlichen Aromen stehen wieder im Vordergrund und räumen im Papillenchaos auf. Die Papillen verstehen das, machen mit, richten ihre Klamotten, waschen sich die Hände und setzen sich im Rahmen ihrer noch vorhanden Möglichkeiten leidlich aufrecht hin. Einige rufen trotzdem vorlaut nach Nachtisch.
Elfter Gang: "Don't waste anything" - im Prinzip nichts weiter als altes Brot. Eine leicht salzige Creme aus Brot und Milch - erinnert an Salty Caramle. Karamellisierte Brotchips und eine hauchdünne, mit Gold überzogene Brothaupe. Supperkross und zart gewürzt. Die Texturen greifen hier scharfkantig ineinander. Ein würdevoller Schlussakkord von großer Erhabenheit. Die Papillen brechen erschöpft zusammen.
Pralinchen zum Espresso.
Zwischendurch wurde am Nachbartisch etwas serviert, das ganz eindeutig trüffellastig war. Der Maitre rührte dabei wie wild in einem Kupfertopf rum und der Trüffelduft zieht zu uns rüber. en Inhalt des Topfes verteilt er auf den Tellern des Nachbartisches.

Auf dem Weg aus dem Raum raus macht er einen Schlenker an unserem Tisch vorbei und fragt "Would you guys like to taste something completely crazy?" - Ich antworte: "You heard my thoughts - and this is why we are here for!" - Wir dürfen den Topf leer löffeln - eine Creme aus Kartoffeln und weißem Trüffel. Die Papillen liegen sich weinend in den Armen.

Die Osteria Francescana also. Check!

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*Die Yuzu ist eine hybridogene Pflanzenart aus der Familie der Rautengewächse. Oder anders: Eine asiatische Zitrone in richtig schön sauer.

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