Montag, 25. Mai 2020

Heute in einem Jahr - Folge 35: 25.05.2021

Turbulente Zeit. Viel zu tun, viel zu planen, lange Tage, kurze Nächte. Fallen durch die Zeit. Ein taumeln durch den Tag. Gibt ja solche Phasen. Über Träume konnte ich da kaum nachdenken. Beim Fallen ins Bett blitzen noch Gedanken zu Post-Its auf und als der Kopf das Kissen traf waren sie nur noch diffuser Nebel.

Am Wochenende stand ein dringend notwendiger Familienbesuch auf dem Programm – und der entschleunigte die Turbulenz wieder. Ist ja eh irre, wie sich in einer vermeintlich entschleunigten Zeit dann doch plötzlich wieder ein solcher Termin-To-Do-Berg zusammenwahnsinnt. So war das Zubettgehen gestern Abend ein entspanntes und ehrlich müdes und das vor einem so gut wie terminfreien Tag. Geschmeidig glitt der Verstand hinüber und ich schwamm los. Ich mag es sehr, wenn sich mein Verstand in den Schlaf schwimmt. Gleichmäßige Kraulzüge sind unendlich meditativ. Nach einer Weile verwandelte sich das Schwimmbecken in eine Meer, der blaue Himmel in einen Sonnenuntergang, aus Kraul wurde Schmetterling und aus mir logischerweise ein Delphin.

Als mir das klar wurde machte ich direkt ein paar kuriose Sprünge aus echt schnellem Geschwimme heraus. Nach ein paar Salti wechselte ich vom Springen zum Tauchen und freute mich über die sich im Wasser brechenden Sonnenstrahlen des roten Abends. Ein wunderbares Gefühl unendlicher Freiheit. Ich grüßte ein paar bunte Fische, gab einem entspannt vorbei ziehenden Wal-Hai ein Flossen-High-Five und sah dann einen riesigen Oktopus vor mir. Er winkte und gibt mir ein Zeichen zu ihm zu kommen.

„Grüß dich!“ sagte der Oktopus.
„Hi!“ sage ich.
„Wo?“ fragt der Oktopus.
„Echt? Echt jetzt?“ frage ich.
„Tschuldigung!“ sagt der Oktopus „aber das ist so was wie ein Reflex ... ich kann nicht anders!“ Er macht eine seltsame Bewegung mit seinen Tentakeln, die wohl so was wie ein schulterloses Schulterzucken sein soll.
„Kenne ich ... so was muss dann raus ... vollkommen verständlich“ sage ich.
„Ich hab da was für dich“ sagt der Oktopus und streckt mir ein Tentakel entgegen, an der ein lila Post-It hängt.


"Hallo! Wir haben uns entschieden uns mal kurz in deinen Astral-Feed zu hacken, da wir es für notwendig halten, dir Mal eine andere Sicht in die Zukunft zu zeigen. Dein Parallel-Ich zeigte dir bisher hauptsächlich positive Zukunftsvarianten ... wir müssen dir aber leider sagen, dass die Wahrscheinlichkeit für diese Szenarien sich auf einem fast schon exponentiellen Sinkflug befindet ... wir zeigen dir jetzt eine Variante aus dem oberen Perzentil der futuralen Probabilitätsprojektion.
Grüße!
Die Oktopoden“

„Wow! Heyhey ... haben wir Zeit für ein paar Fragen? ... ich hätte da welche!“ sage ich.


"Eigentlich nicht ... aber schieß mal los!“


„Wer ist denn das Parallel-Ich? Der Selbe, wie mein Future-Ich?“ frage ich.


"Das soll er dir erklären! ... Hups – unser Hack wurde bemerkt, wir fliegen aus der Le/ .....“

 „Hallo? HALLO?!“ frage ich und sehe in dem Moment ein vorbei schwimmendes lila Post-It mit einem aufgemalten Fenster, durch das ich hindurch schaue.

Ich finde mich an der Ausgabestelle der Tafel am Münchner Großmarkt. Die Schlange ist wahnsinnig lang. Hoffnungslose Gesichter und traurig blickende Kinder. Hätte mein körperlos schwebendes Ich einen Magen, er würde krampfen.

Die Luft ist schlecht und entlang der wartenden Menschen stauen sich Autos an LKWs.

Mir fällt ein Plakat auf, das ich im ersten Moment für ein Wahlplakat halte, weil der Kopf von Friedrich Merz ernst darauf drein schaut, was konsequent ist. Seine versuche zu lächeln schauen immer extrem gruselig aus. Es ist aber kein Wahlplakat. Ja, was ist das eigentlich? Ich schaue genauer hin.

Auf dem Plakat steht: „Die Verlängerung der Arbeitszeit bis 75 war der richtige Weg – genau wie die vollkommene Privatisierung der Rente und des Gesundheitssystems. Die Bürger werden mit unserem Programm Blackrock21 dabei perfekt unterstützt.“ Unterschrieben ist das ganze mit „Friedrich Merz, Bundeskanzler, Widerstand 2020“.

Ein weiteres Plakat wirbt für das Bauvorhaben eines neuen Atomkraftwerks in Garching. Im Plakat daneben winkt ein Zigarre rauchender Manager-Typ aus einer mächtigen Mercedes S-Klasse. Darunter der Slogan „Den Rauch genießen – der neue Diesel“.

Jetzt gelingt das Kunststück: Der Magen meines körperlosen Ichs krampft und mir wird speiübel.

Ich will mir das nächste Plakat in der Reihe, von KraussMaffei, genauer ansehen, da sehe ich den Post-It, der daran klebt:

"... dies ist eine unsichere Verbindung ... bitte kontaktieren sie ihren Administrator ...“

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