Dienstag, 5. Mai 2020

Heute in einem Jahr - Folge 26: 05.05.2021 - Teil 1

Es geht also tatsächlich wieder weiter. Puh ... ich hatte ja schon befürchtet, dass dieser Blick in die Zukunft aus welchem Grund auch immer nur eine kurze Episode gewesen wäre. Das hat mich wirklich gefreut, den ganzen Tag lang – und auch beim Zubettgehen noch. Viel entspannter als all die Tage davor habe ich mich ins frisch bezogene Bett genistet und entschlummerte sanft und geschmeidig nach nur kurzem Kissen-Clinch.

Rhythmisch durchschwamm ich See um See im Fünfseenland und fand mich dann wieder sportlich gewandet beim stolzen und zielsicheren Durchwandern der Münchner Innenstadt, ein breites Band um die Schulter gewickelt. Als ich an der Frauenkirche ankomme fackele ich nicht langen und erklettere flux den Südturm (98,45 Meter hoch ... die Zahl erscheint augmented-reality-mäßig im Raum schwebend über der Turmspitze). Ich setze mich mittig auf die Turmzwiebel und lasse mir die Sonne kurz ins Gesicht scheinen. Dann stelle ich mich auf räkele mich kurz, mache eine paar strechende Schulterübungen, nehme dann das breite zusammengerollte Band von den weit im Westen liegenden Endausläufern meines Schultermassivs. Ich hole ein paar Mal aus und werfe die Schlinge am Ende des Bandes zielsicher um die Spitze des Nordturms (98,57 Meter). Ich spanne die Slackline zwischen den beiden Turmspitzen straff. Die Blaue Stunde am Münchner Himmel hüllt die Innenstadt in ein goldenes Licht. Leichtfüßig hüpfe ich auf die Slackline und spaziere entspannt in die Mitte der beiden Türme. Dort setze ich mich hin, ziehe meinen Flachmann aus der Seitentasche meiner Hose und nehme einen ausgiebigen Schluck 30 Jahre alten Laphroaig. Ich beginne zu schaukeln. Da kommt ein Kolibri vorbei und bleibt heftig Flügelschlagend direkt vor meiner Nase in der Luft zum stehen. Was ein schöner Vogel! Knallblau passt er sensationell zu dem umwerfenden Licht – an seinen Füßen hängt ein blauer Post-It:


"Aaaaaalter ... was ist falsch mit dir ... wo hast du denn diese krassen Allmachtsfantasien eingeatmet. Und das so völlig grundlos bei deinem aktuellen Fitnesslevel!“


„Du musst auch echt alles kaputt machen, oder? Ach ... Scheiß drauf ... setz dich zu mir und nimm einen Schluck!“


" ... entschuldige ... puh...  das ist aber toll hier! ... Phänomenaler Whisky auch!“


„Wie können Post-Its eigentlich Whisky trinken?“


"Quantenphysik! Ich bleib noch ein bisserl hier ... schau mal ... ist das ein Post-It auf deinem Flachmann?“


Ist es. Ich sitze auf einer Slackline zwischen den Türmen der Frauenkirche über dem von der Blauen Stünde gülden illuminierten München, halte einen silbernen Flachmann in der Hand, in dem sich das Licht stilvoll bricht und auf dem ein blauer Post-It mit einem aufgemalten Fenster klebt – ich schaue hindurch.

Mal wieder lande ich in meinem Wohnzimmer auf der Couch, in welchem eine Version von mir die Nachrichten schaut. Wird auch langsam etwas redundant, dieses Szenario ...


"Sorry – aber ich fand das, was da jetzt gleich passiert schon interessant – aber bald gucken wir wieder wo anders hin, versprochen ... man ist das super hier oben ... gibst du mir noch einen Schluck?!“



Ich freue mich über das entspannt gemeinsame Slackline-Schaukeln meines Traum-Ichs mit meinem Future-Post-It-Ichs, während ich einer anderen Future-Ich-Version beim Nachrichtenschauen zuschaue ... mir wieder etwas schwindelig ... und ich wende die Aufmerksamkeit dem Fernseher zu.

Aufgebaut ist das Szenario einer Pressekonferenz. Die Pulte sind noch leer. Ein Offsprecher spricht, was ja auch seine Aufgabe ist, aus dem Off:

„... geht es heute um die nächste Stufe des letzten Jahres begonnenen NEWSTART. Letztes Jahr formte sich im Sommer die Bewegung die unter dem Hashtag #norestart darauf aufmerksam machte, dass es nach der Krise auf keinen Fall einen „Restart“ geben darf. Die Bewegung wollte erreichen, dass eben nicht das alte System der Zeit davor wieder anläuft sondern ein komplett neues System etabliert wird. Was damals vollkommen überraschend war: Die Regierung verkündete unter der Überschrift „PHASE 1: Wir machen das!“ vollkommen überraschende Systemänderungen, mit denen damals wirklich keiner gerechnet hatte. Zum ersten mal in der Geschichte der Regierungserklärungen, ausgenommen vielleicht dem legendären „... ähm ... ich glaube ... also ... das gilt ab jetzt ... damals bei dieser Mauer-Geschichte“, die Älteren werden sich vielleicht erinnern, verkündete eine Regierung Reformen, die mehr waren als nur irgendetwas knapp unter dem erwarteten Minimum. Zum ersten Mal war es mehr. Und zwar VIEL mehr!

  Neben der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens wurde die Mehrwertsteuer für ein Jahr komplett gestrichen mit der Ankündigung sie danach zunächst auf 7% zu erhöhen und sie dann je nach Situation anzupassen. Die Finanzierung über Bürokratieabbau, Finanztransaktionssteuern, Steuereinzug zuvor so gut wie nicht besteuerter Firmen (im legendären GoogAmoApple-und-der-Rest-der-Bande-Erlass), Vermögens- und Erbschaftssteuer-Novellen und einige neue Steuern, allen voran die auf Hanf und Hubraum – all das hat viel besser funktioniert, als selbst die ärgsten Kritiker dachten.

Die Anfang dieses Jahres gestartete „Phase 2: GesuRopa“ hatte dann damit begonnen, die europäischen Gesundheitssysteme zu vernetzen und von wirtschaftlichem Umsatzdruck zu entkoppeln.

Im April startete dann „Phase 3: BILDUNG!“, in welchem es in Form eines umfangreichen bildungszentrierten Konjunkturprogramms um die komplette Umgestaltung des Bildungssektors geht.


Die mit großer Spannung erwartete heutige Presseerklärung ist überschrieben mit: „Phase 4: Haltung! Nachhaltig!“ und soll, wie wir aus informierten Kreisen erfuhren, die künftige Haltung in Fragen der Wirtschaftspolitik beinhalten.

Die bisherigen Schritte haben gezeigt, wie schnell Veränderung gehen kann und wie unfassbar positiv sich vermeintlich radikale Anpassungen auswirken. Ich glaube, die Vertreter der Regierung kommen da hinten.

Ich schaue auf das Mikro ganz links und sehe den Post-It:


„Morgen wieder!“


„Was? WAS? Du kannst doch jetzt nicht abbrechen?!“

"Doch! Das wird sonst einfach zu lange! Wir schauen da morgen weiter.“

„Fieser Cliffhanger, finde ich!“


"Danke! J Morgen wieder!“


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