Unlängst haben wir es ausgerufen:
MEATINGRAUM on Tour -
Ein komplett neues gastrosophisches Konzept, bei welchem in einzigartigen Veranstaltungen ungewöhnliche Menüs in ungewöhnlichen Räumen oder Umgebungen serviert und von Kunst und Literatur flankiert werden.
Und der Auftakt dieser Veranstaltungsreihe des Kochkollektivs KemmlerChristian fand nun statt: Vom Leder.
Die ungewöhnliche Umgebung war die
wunderschöne Lederwerkstatt von Caroline Antonetty in der Klenzestraße und wir haben uns bei der Zusammenstellung von Menü und Texten breitseitig von der Aura dieses Raums inspirieren lassen.
Vielen Dank, liebe Caro, für die Überlassung des Raums, das Vertrauen in den M
EATINGRAUM und die faszinierenden Geschichten über Häute aller Art, die du vom Leder gelassen und in Hände gegeben hast. Danke auch an alle Gäste, die mutig dieser besonderen Premiere beiwohnten!
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Die fabelhafte Ladenwerkstatt von Caro. |
Das Menü
Aperitif und Snack
Als Stimmungsaufheller zum Start gibt es einen schönen Prosecco und zu diesem ragen Knusperstangen aus Gläsern, die in FrischkäseDipps gedippt werden dürfen. Aber damit noch nicht genug - ergänzt wurde der Auftakt mit einem Löffel.
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Liebevolles Löffelbereiten |
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Löffelreigen |
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Startlöffel: gebratener Kräuterseitling, Speckreduktion, Wachtelei, Croutons |
Die Lederinspiration findet sich zum einen im Pilz - wird der falsch zubereitet, dann ist er furchtbar ledrig (hier dankenswerterweise nicht geschehen). Zum anderen soll die Soße in ihrem Aroma und ihrem Duft an Leder erinnern.
Taschen & Beutel
(Tomatenleder, Mozzarella & Taschenkrebs, Maultasche)
Der erste Gang wird zweigeteilt aufgetischt.
Es beginnt mit einer Variation des klassischen Caprese Salates, also Tomate und Mozzarella. Die Tomate kommt in Form eines Tomatenleders.
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Das Tomatenleder ist die Haut des Tomatentieres, das ähnlich den Seeanemonen, nur eben an Land und ganz anders, in buschartigen Verbänden im mittelitalienischen Hinterland lebt. Auch wenn es ausschaut als wären sie festgewachsen bewegen sie sich - nur eben sehr langsam. |
Bei dem Tomatenleder handelt es sich um eine getrocknete Mischung aus Tomatenmark, pürierten Tomaten, Olivenöl, Basilikum, Pfeffer und Salz - es fasst sich ledrig an - und es schmeckt unendlich tomatig. Tomatenleder ist vegan!
Danach wurde es taschig und in die Suppenteller kam ein TaschenkrebsSüppchen mit einer TaschenkrebsMaultasche, der Füllungskrebs hatte noch Gesellschaft von Ricotta und Safran, als Einlage.
Dazu beutelt es im Glas mit einem Steillagenriesling aus der Lage Eschendorfer Lump, ein Frankenwein, der traditionell im Boxbeutel eingeflascht wird.
Gegerbt & Gebeizt
(Lachs, Rhabarber, Ziege, Bohnen)
Das nächste kulinarische Dyptichon fusst auf zwei Inspirationssfüßen: Da hätten wir zum einen die Techniken, die angewandt werden, um das harte Leder geschmeidig zu machen - gerben und beizen. Und zum anderen begeben wir uns nach Südamerika, wo die cowboyartige Arbeit mit großen Herden und der Bezug zu Leder und Fleisch viel tiefer verwurzelt ist im Alltagsleben, als das bei uns der Fall ist.
Der kulinarische Dialog: In der linken Ecke haben wir Ceviche, eine Spezialität, die ursprünglich aus Peru kommt. Es handelt sich dabei um in Limettensaft marinierten Fisch. Chemisch gesehen kommt es aufgrund der in den Limetten vorhandenen Zitronensäure zu einer Denaturierung des Eiweißes, ähnlich wie beim Kochen. Zu dem Fisch, in unserem Falle ein schottischer Wildlachs, kommt Petersilie, Paprika, rote Zwiebeln und Chili. Das ist frisch, sauer und schmeckt nach Sommer.
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Ceviche von ganz nah. |
In der rechten Ecke haben wir Rips von der Ziege, lange gegart und frisch glasiert, auf einem BohnenTomatenSalat mit Koriander. Die Ziege ist enorm wichtig für die Lederindustrie, da sie ein schön stabiles und gleichzeitig geschmeidiges Leder bringt. Und auf dem Teller kann sie auch was. Fingerlickin' good.
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Bohnensalat und Ziege. |
Die Ziege ist süßlich gehalten. Das Ceviche sauer. Gegensätze ziehen sich an - die beiden könne kaum voneinander lassen.
Dazu ins Glas kommt ein Kultgetränk aus Patagonien - der PiscoSour. Pisco ist ein hochprozentiges Destillat aus Trubenmost.
So so macht man diesen frischen Sommerdrink:
6 cl Pisco
3 cl Limettensaft
1,5 cl Zuckersirup
1 Eiklar
1 Dash Angostura Bitter
Alles zusammen mit dem Zauberstab aufschäumen und auf Eiswürfel gießen. Der Purist krönt das ganze dann noch mit einer Prise Zimt.
Skin & Head
(Schwein, Lachshaut, Seeteufel, Erbsen, Ingwer, Pü)
Vollkommen unpolitisch ehren wir in einem weiteren Dyptichon die Haut und den Kopf, an dem die Haut ja letztendlich festgemacht ist, irgendwie. Und wir bringen Fleisch und Fisch zusammen. Wie wir in dem Laden dann von Caro erfahren wird auch aus Fischhäuten Leder hergestellt. Wir bekommen Beispiele zum anfassen und sind erstaunt und begeistert über die Haptik und die ästhetische Anmutung von Fischleder.
Auf dem Teller jetzt haben wir: Schweinebacke, butterzart gegart in einem mediterran-asiatischen Sud gekrönt mit einer sagenhaft krossen Lachshaut und begleitet von einem KartoffelIngwerPü - dieser Komposition gegenüber stehen Backen vom Seeteufel auf einem ErbsenWasabiPü, gekrönt von krossem Bacon (denn alles ist besser mit Bacon). Eine intensive Soße, reduziert aus dem Su, bringt beides zusammen und vermittelt bilateral.
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Skin & Head |
Dazu ins Glas: Der Duca Sanfelice.
Der Duca Sanfelice ist kein einfacher Wein. Kommt aus Kalabrien vom Weingut Librandi. Er ist leicht verstörend mit komplizierten Aromen, die ein Verkoster mal sehr passend beschrieb mit "Schmeckt so, wie die uralte Nähmaschine von meiner Oma riecht" - und das stimmt. Er hat was maschinelles, öliges, technisches - aber gleichzeitig eine spannende Tiefe und einen ungewöhnlichen Schmelz. Unbekannte Gaumeneindrücke, die die autochtone Gaglioppo-Traube hier hervor ruft. Ein Wein, durchaus auch geeignet für Psychopathen oder solche die es werden wollen. Und zu ledrigen Aromen und diesem komplexen Dyptichon passt er hervorragend.
Hare Kürschner
(indischer Kürschkuchen, Kürschwasser, Kürschsorbet)
Unter Etymologen gibt es einen schon lange andauernden aber zu unrecht in der Öffentlichkeit so gut wie komplett unbeachteten Disput. Es geht dabei um die Herkunft des Wortes „Kürschner“.
Eine exotische Minderheit an phantasiebegabten Sprachforschern, hauptsächlich aus mir selbst bestehend, ist sich nach eindringlicher Introspektionsanalyse so gut wie sicher, dass das Wort „Kürschner“ von „Kirschkern“ kommt.
Die Verbindung ist klar und liegt auf der Hand. In früherer Zeit wurde in den Kirschregionen der Steiermark nämlich versucht, das zähe Leder so zu erweichen, indem man es mit hohem Druck mit Kirschkernen bespuckte. Nach zig tausenden von mit Druck gespuckten Kernen war das Leder weich und konnte weiter verarbeitet werden.
Der Kürsche und der Kirchernerei, oder umgekehrt, huldigen wir im letzten Gang in einem letzten Duett. Einem Trifle a la Schwarzwälder Kirsch mit einem indischen Einschlag und einem KürschSorbet mit einer Nappierung
Lemon Curd.
Im Glas gestapelt sind eingekochte Sauerkirschen mit einem Schuss Kirschwasser, ein zarter Brownie mit einem Hauch Garam Masala und eine Creme aus Sahne, griechischem Joghurt, Zitronenzesten, Vanillezucker und Tonkabohne. Als
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Trifle, Sorbet und süßer Sprudelsein - auf Rochenleder. |
Zwischen den Ledern gab es natürlich Text.
Kollege Kemmler erfreute mit Haiku-artigen Gedichten. Haiku-artig, weil sie zwar Haiku-kurz und mit einer vielbödigen Subtextualität mit Moral, Humor und Tiefe versehen waren, aber sich nicht an die Haiku-Silben-Regel, nach welcher die erste Zeile 5, die zweite 7 und die dritten wieder 5 Silbe aufweist (eigentlich keine Silben, sondern sogenannte
Moren ... aber das würde uns jetzt zu sehr in die Tiefen der Sprachwissenschaft führen). Also etwa so, zur Beschreibung des Abends:
Leder umgeben
Von unter der Haut, zurück
Unter die Haut
Ja, das ist nicht ganz einfach, aber dafür kurz, tief und elyptisch.
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Herr Kemmler als Raconteur im Haiku-Modus, Herr Christian lauscht. |
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Herr Christian liest ein Märchen über die Kürschnerei, Herr Kemmler trinkt. |
Wir freuen uns auf noch viele kommende Veranstaltungen - alles neue ab jetzt immer hier und über unsere frisch eingerichtete und
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Bis bald!