Sonntag, 31. Mai 2015

Retroschmecktive: Austria in a Parallel Universe

Was für ein aufregender und spannender Abend. Kulturinarik in einer neuen explorativen Form. Eine Grenzerfahrung.

Sven und ich sind eingetaucht in ein ganz neues gastrosophisches Feld. In klassische Gerichte der österreichischen Küche, die es nicht gibt. Kultgerichte der Inexistenz. Jaja ... "Was rauchen die beiden für Zeug?" Werden Sie denken ... oder "Was immer die nehmen, sein lassen oder Dosis erhöhen!"

Das könnte man meinen. Aber, erlauben Sie einen Erklärungsversuch. Beim brainstormen zu einem kulianrischen Event kamen wir plötzlich auf sehr lecker klingende Neologismen (wie zum Beispiel "Grazer Gwamperte"), auf Wortneuschöpfungen, die so vertraut klangen, dass wir uns gewundert haben, dass es diese nicht gibt. Aber es klang gut und lecker ... und da dachten wir uns - und dabei begeben wir uns in die Tiefen der experimentellen Physik, wenn es sie hier bei uns nicht gibt, diese Gerichte, dann spricht aber ja gar nichts dagegen, dass es sie in einem parallelen Universum sehr wohl als klassische Gerichte auf den Karten der Restaurants gibt.

In diese Idee haben wir uns verknallt und immer weiter rein gesteigert, bis wir dieses Menü beisammen hatten.

Jeder Gang, ein Klassiker in einer parallelen Welt des endlosen Multiversums - und zu den Gerichten gibt es kurz die Endstehungsgeschichten und parallelhistorischen Ursprunsgmythen.

Kommen sie mit auf eine nachschmeckende Reise durch die Dimensionen von Raum und Zeit. Physik in seiner leckersten Form. Multiversumität mit einem endlich praktischen Nutzen. Hurra!

VIELEN DANKE LIEBE GÄSTE! Danke, dass ihr bei dem Unsinn dabei ward und hoffentlich Spaß hattet an den Texten, Texturen, Gerichten und Getränken. Kommt gerne wieder - ihr ward super!

Wir beginnen mit einem Aperitif und einem Servus aus der Küche.


Ein Brauser ist im Universum nebenan immer etwas, das mit Sekt übergossen wird. Beim Tiroler Erdbeerbrauser wird ein ErdbeerwodkaSorbet mit Sekt überschüttet, was dann auch wieder schön national nach Fahne ausschaut. 
Neben Erdbeeren überbraust der Tiroler auch sehr gerne Birnen, Äpfel, insgesamt Beeren aller Art und, so bizarr es klingen mag, in manchen Regionen Fleischwurst mit Perlzwiebeln.
Im Erdbeerbrauser spiegelt sich im Wodka die tiefe Verbundenheit mit der russischen Geschichte wieder, die sich auch in späteren Getränken findet. Im Universum nebenan sind im Laufe der sich entwickelnden Historie, die Seelen der beiden Länder eng miteinander verbunden bis zum heutigen Tage.






Das Detscherl an sich gehört zu der Familie der Verhackten Wamperln. Ja. Nur sind sie eben deutlich kleiner! Ein Detscherl entspricht in etwa dem Viertel eines regulären Wamperl. Das Wamperl heißt auf unserer Seite „Laiberl“ und „Verhacktes“ nennt man hier „Faschiertes“ – das „Verhackte Wamperl“ ist also ein „faschiertes Laiberl“ und das wäre wiederum ausgedeutscht je nach Region: Bulette, Frikadelle, Fleischklops, Fleischpflanzerl, Fleeschkiechelsche, Fleischküchlein oder Hackhuller (doch! Thüringen! ... also in manchen kleinen Orten dort ... angeblich ...). Wamperl mag jeder! Das ist eine Grundkonstante des Multiversums. Es gilt als erwiesen, dass Menschen, die Buletten kategorisch ablehnen, gefährlich sind und man ihnen nicht trauen kann. Detscherl gibt es drüben traditionell vom Zwerghupf (aka Kaninchen). Der Zwerghupf bekommt Gesellschaft von Schweinefleisch (nennt man nebenan auch Angrunz), damit die Geschichte etwas saftiger wird.

Detscherl
Bei den dekorativen Beigaben zum Detscherl handelt es um mehr als nur ergänzende Staffage. Es handelt sich um eine uralte Fruchtbarkeistsymbolik aus den Zeiten, als die frühkeltischen Erddödelstecher (Erddödel = Spargel) aus Polen und der Tschechei durch Europa gevölkerwandert sind. Vornehmlich in Oberösterreich, genauer noch um Graz herum, huben sie den Erddödel aus und sammelten Winzfischerl (Winzfischerl = Kaviar) dazu. Und das kam ihnen in ihrem einfachen Weltbild als hochsubtile Fruchtbarkeistsymbolik vor: Hast du Ei und hast du Dödel wird das kommende Jahr fruchtbar. Mei - ob das jemals stimmte, das ist nicht mehr rekonstruierbar - geschmacklich haut die Dödel-Ei-Kombination aber bis heute astrein hin. Eh.


Der Servus-Löffel
Die Geschichte der Thaierspeis im Kuhbachl geht zurück ins 14. Jahrhundert. 1315 brach der österreichische Forschungsreisende Erwin Polo, dessen Bruder Marco nach Venedig ausgewandert war, vom Semmering auf, um den Landweg zum Fujiyama zu finden, weil er in einer populären Skipublikation gelesen hatte, dass es dort ein Skigebiet gäbe, dass die Kitzbühler Streif wie einen Babylift wirken lässt.
Viele, viele, VIIIIELE spannenden Abenteur sind ihm auf seinem Weg zugestoßen bis er schließlich versehentlich hinter Indien zu früh links abbog und im Königreich Siam landete. Müde von der Reise fragte er nach einer Rindssuppe, die ihm wieder Kraft geben sollte - und was er da als kraftspendende Brühe erhielt war eine so epiphane Genusserfahrung, dass er seine Suche nach dem Skigebiet aufgab und sich fortan dem Suppenstudium widmete. Und nicht nur das - er begann auch die klassische "Eierspeis" (= das Rührei) mit gänzlich anderen Augen zu sehen. 

Zurück von seinen Reisen brachte er diese Suppe  in seiner Wiener Heimat und sie revolutionierte die Art des Frittatengenusses nachhaltig. Außerdem erweiterte er die Welt der Eiergerichte um seine Thaierspeis, die das gemeine Rührei in neue Sphären hob. Erwin Polo lebt als erfolgreicher Suppenkoch bis er jäh aber froh an Grünem Veltliner verstarb.

Thaierspeis im Kuhbachl mit Oxenbacken, Nussfrittaten und Koriander
Erwin Polo zur Ehr' begleitete dieses Gericht ein Grüner Veltliner von Loimer.

Die Schweine in der Stadt Patsch kurz vorm Brenner gelten als besonders schmackhaft. Besonders das Wanstel, der Schweinebauch. Das hängt sehr eng mit Äpfeln zusammen, denn die Region rund um Patsch ist DIE Apfelregion des Landes. Das wissen auch die Schweine und ernähren sich vornehmlich von Äpfeln. Viele Bauern verfüttern an ihre Schweine auch die Reste vom Apfeltrester, der bei der Schnapsbrennerei übrig bleiben – das sorgt dafür, dass die Patscher Schweine, die mit großem Abstand entspanntesten Viecher weit und breit sind.

Die Patscher Variante der Zubereitung des Wansterl ist aufwendig und einzigartig. Das Patscher Wanstel wird über mindestens 48 Stunden vakuumiert und bei 63° im Wasserbad gegart und kommt dann unter den Grill – es wird serviert auf in Apfelschnaps (Brenner) und Chili karamellisierten Apfelstücken.

Dazu gibt es panierte frittierte Selleriepommes und panierte Blunzen, die auch im Universum nebenan Blunzen heißen, weil das einfach der allerbeste Name für Blutwurst ist. Panierte Beilagen sind den Österreichern sehr wichtig und der Österreicher gilt als der einzige Mensch weltweit, der bis zu dem doppelten seines Gewichts an frittierter und panierter Nahrung aufnehmen kann. ApfelKren rundet die Sache geschmacklich elyptisch ab.

Die historische Gastrologie des Gerichts lässt sich zurückverfolgen bis in die Zeiten Hannibals ("Der Karthago-Hansi" - so nennt man ihn im Universum nebenan ...) - aber das führt an dieser Stelle zu weit.
Bildschön: das butterzarte Wansterl, Blunzen, Äpfel, knusprige SelleriePommes und Apfelkren
Dazu trinkt sich hervorragend ein Cider. Apple to Apple!

Die Geschichte des Hesslichen Taflatschek ("hesslich" kommt von "hessisch" - das "l" ergibt sich durch eine hierzulande unbekannte Lautverschiebung der vierten Ordnung) beginnt im Jahre 1787, als Goethe auf dem Weg zu seiner Italienreise in Wien Station machte, um ein Frauenzimmer zu besuchen. Das fand geschichtlich dokumentiert leider nur im Paralleluniversum nebenan statt. 

Goethe reiste NIEMALS ohne einen Vorrat seiner geliebten Grie Soß (= Grüne Soße), um auch unterwegs, alles, was ihm aufgetischt wurde im degustatorischen Notfall mit der Soß aufwerten zu können – er pflegte zu sagen: „Fürwahr ned schlecht, awwa mit me Dibbe Grie Soß wä die Geschicht no ä bissi bässä!“. 

Auf dieser Reise begab es sich, dass das Rad seiner Kutsche einen steininduzierten Speichenbruch erlitt und er am Wegesrand sitzend auf das Eintreffen des ADAC, des Austria Droschken und Abdecker Clubs, zur Reparatur des Schadens wartete. Einer der Vorbeikommenden war der fahrende Delikatessenhändler Flatschek, der, ganz Geschäftsmann wie er war, dachte, dem gut gekleideten Mann am Wegesrand eine teure Mahlzeit verkaufen zu können. Er führte seine Delikatessen vor: Vadratschecken aus Linz, Utschgaflotz aus Tirol und Wiener Tafelspitz. Das rosa gebratene Fleisch zog sofort Goethes Aufmerksamkeit auf sich, der Geheimrat probierte und sagte: „Fürwahr ned schlecht, awwa mit me Dibbe Grie Soß wä die Geschicht no ä bissi bässä!“. 

Das war die Geburtsstunde des Hesslichen Taflatscheks. 

Die Krulljonger Kracherl sind in Bouillon vorgegarte Kartoffeln, die dann in der Pfanne ausgebraten werden und Gesellschaft von Zwiebeln und Bouillon-Gemüse erhalten. Ein Gericht, das im Wien nebenan gerne zu Würschtel am Standl serviert wird und populärer ist als die Pommes bei uns.

Der Hessliche Taflatschek, grüne Soße, Kracherl und ein Salat von Cornichons und Perlzwiebeln. Eh!
Dazu kommt eine voluminöse Doppelmagnum des bekannten RED von Heinrich auf den Tisch. Eine klassische Ösi-Cuvée aus Blaufränkisch, Zweigelt und St. Laurent.

Nipponatschn sind eine Folge der tiefen Völkerfreundschaft aus Japanern und Österreichern, die ihren Ursprung 1924 in einem diplomatischen Treffen zwischen dem japanischen Ministerpräsidenten Katō Takaaki und dem österreischichen Bundespräsidenten Michael Arthur Josef Jakob Hainisch fand. 

Die beiden kamen nach einer ganzen Reihe genossener Rückwärtsgwandter mit russischem Schuss (siehe unten!) zu dem Schluss, dass ihre beiden Flaggen eigentlich genau die gleichen war, wenn man mit dem richtigen Pegel nur richtig drauf schielt und sich dabei schnell um die eigene Achse dreht. Aus diesem legendären Treffen entwickelte sich nicht nur eine tief verwurzelte Männerfreundschaft sondern auch ein reger kulinarischer Austausch zwischen den beiden Ländern.

Die beiden Staatslenker waren nicht nur Staatsmänner, sondern, wie sich auch bei diesem legendären ersten Abend schon heraus stellte, beide begeisterte Hobbybäcker. Der Legende nach ist dieses Gericht, das heute zu den absoluten Klassikern zählt, bei einer gemeinsamen Backaktion entstanden, bei welcher die beiden Löffelschwinger schwer beschwingt munter den Strahl ihrer Aromen kreuzten.

So entstanden die Nipponatschen: Maronenpalatschinken mit Sake, gefüllt mit einer Creme, aromatisiert mit grünem Tee und Haselnuss. Natürlich gratiniert.

Die Tennerl sind ein noch älteres Produkt der ösipanischen Freundschaft - das sieht man auch schon in den etymologischen Wurzeln des Wortes - da drin stecken: Tenno (so nennt man ja den japanischen Kaiser), Tarte und Nockerl. Der Name des ursprünglichen Gerichts war "Tarte für den Tenno mit VanilleSchlagnockerl" was sich im Laufe der Zeit zu einem schlichten "Tennerl" vereinfachte und verkürzte. Die Endstehungsgeschichte ist spannend und überraschend und wer diese wissen will, der muss sich entweder melden oder beim nächsten Paralleluniversumsevent dabei sein.

Nipponatschen (links), Tennerl (rechts), SakeEspuma und Nockerl
Zu diesem Dessert trinkt man traditionell einen Rückwärtsgwandten mit russischem Schuss 

Dabei handelt es sich um eine altwiener Kaffeespezialität, in welcher sich die Geschichte spiegelt. Der Kaffee wird mit türkischen Kaffeegewürzen verfeinert, welche an die Zeit erinnern, als bei der Belagerung Wiens die Türken geschlagen wurden.

Im Universum nebenan wurde dieser Konflikt damals durch ein Duell gelöst – ein Duell im Kaffeetrinken, bei welchem die Kontrahenten abwechselnd einen Mokka tranken und danach einen Faden in eine Nadel fädeln mussten. Der Kaffee wurde dabei von Tasse zu Tasse stärker und Nadelöhr und Faden immer kleiner. Es traten an: Der osmanische Meister im Kaffeetrinken Onur „die Bohne“ Khan gegen den ständig bei der Wache einschlafenden Dragoner Franz „Gähn“ Esterhazy. 

Vollkommen erwartet für die Österreicher gewann Franz souverän, Onur wurde geköpft und Wien war frei. Der Bezug zur russischen Geschichte findet sich wieder in einem munteren Schuss Wodka und der sibirischen Reminiszenz der kalten Servierung. Die Haube aus Schlagobers symbolisiert den Schnee des kalten Winters in der Taiga.

Untermalt wurde dieser Abend von einer liebevollen Zusammenstellung östereichischer Populärmusik.


Bis demnächst - irgendwo im kulinarischen Multiversum!






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